Dieser Luftballon ging steil nach oben: Nena hat ihre Fans, die bei ihrem Konzert in sogenannten Boxen an der frischen Luft saßen oder standen, zu sich vor die Bühne gebeten. In Zeiten vollkommen geänderter Realitäten ist das natürlich eine Provokation, denn ein Pulk von Zuschauern vor der Bühne teilt nicht nur die frische Luft, sondern auch Viren. Das dem Konzert zugrundeliegende Hygienekonzept teilten Zuschauer und Nena dann hingegen nämlich nicht mehr. Das Konzert in Berlin war darum auch schneller zuende als gedacht. Hauptprogramm und Schluss. Keine Zugaben.
Helge Schneider hatte zuvor ein Strandkorbkonzert selbst abgebrochen. Kein Kontakt zum Publikum, das gehe ihm auf den Sack, so wird er in der Presse zitiert, die diese wunderbare Vorlagen jetzt berichterstattend und kommentierend auswalzt. Die Medien sind jetzt also nicht mehr auf der Suche nach der verletzten und gehinderten Künstler-Seele, die auch noch ihre Existenzgrundlage verliert, sondern sie sind auf der Suche nach der Egomanie des Künstlers, der sich im Gegenüber spiegeln muss – und darauf nicht verzichten kann oder will, egal, was es kostet.
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf – und Nena natürlich keine Versuchsluftballons mehr steigen lassen darf.
Nein, es ist ja richtig, wo kämen wir denn dann hin, wenn jeder hingehen dürfte, wohin er wollte. Die Freiheit des anderen grenzte immer schon an die Grenzen der anderen. Und Corona ist ziemlich grenzwertig: Konzerte in Autos, Strandkörben und Boxen – man kann Nena und Helge Schneider irgendwie auch verstehen – sind wahrscheinlich noch schlimmer als alle virtuellen Realitäten. Grenzwertig sind sie allemal.
Dieses Leben im Konjunktiv, dieses Tun-als-ob, dieses Wir-machen-weiter-als-ob-nichts-wär! Doch, es war ja eine ganze Menge, und in dem Versuch, das Leben wieder zu normalisieren, sind nicht nur Helge Schneider und Nena die Versuchskaninchen – auch die eingeboxten oder gestrandkorbten Konzertbesucher sind Probanden einer neuen Realität. Und im Gegensatz zu den Menschen, die für medizinische Testreihen so etwas wie Schmerzensgeld bekommen, zahlen die Zuschauer noch drauf.